Gerd Ruge

Interview mit dem Journalisten und Autoren Gerd Ruge

Gerd Ruge, 1928 in Hamburg geboren, begann seine Karriere 1949 als Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk in Köln. Zunächst mit aktuellen Sendungen aller Art betraut, wurde er anschließend als Reporter im Ausland eingesetzt. Nach dem Krieg war Ruge der erste bundesdeutsche Journalist, dem 1950 ein Visum für Jugoslawien erteilt wurde. Weitere Reisen im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit führten ihn nach Korea und Indochina, nach Südosteuropa und Amerika. Ferner war er der erste ständige Korrespondent für die Bundesrepublik in Moskau.

Seit seiner Pensionierung im Jahr 1993 dreht er im Auftrag des WDR einmal jährlich eine meist mehrteilige Reisereportage mit dem Titel „Gerd Ruge unterwegs“. Diese ist zum festen Programmbestandteil der ARD geworden und entführte seine Zuschauer bereits nach China, Georgien, in die Länder des Balkans, den Kaukasus und das südliche Afrika.

Im April wird „Gerd Ruge unterwegs durch Afghanistan“ ausgestrahlt. Wir können schon heute sicher sein, daß wir wieder beeindruckende und bewegende Bilder aus einem uns fremden Land übermittelt bekommen werden.

Programmtip:

Gerd Ruge unterwegs durch Afghanistan

Teil: 14. April 2003, 21.45 UhrTeil: 18. April 2003, 21.45 UhrTeil: 20. April 2003, 22.00 Uhr in der ARD.
Videos u.a.:

Gerd Ruge unterwegs in Sibirien
Gerd Ruge unterwegs rund um den Balkan
Gerd Ruge unterwegs in Georgien
Gerd Ruge unterwegs im Süden Afrikas

Bücher u.a.:

Sibirisches Tagebuch
Droemersche Verlagsanstalt, 2000

Weites Land
Russische Erfahrungen – Russische Perspektiven
Droemer Knaur, 1998

Michail Gorbatschow
Fischer, Frankfurt, 1991

Zwischen Washington und Moskau
Europa in der Konfrontation der Supermächte
Fischer, 1985

Begegnung
mit China
Eine Weltmacht im Aufbruch
Econ, Taschenbuch, 1978

Ihre Reportagen führten Sie bisher u.a. nach China, Sibirien, Georgien, in den Kaukasus, die Länder des Balkans, nach Amerika und jetzt nach Afghanistan. Welche dieser Reisen war für Sie persönlich am Bewegendsten, Interessantesten, Eindrücklichsten und warum?

Das ist schwer zu sagen. Ich wüßte auf Anhieb keine, die ich besonders herausheben würde. Am ehesten die erste nach meiner Pensionierung, eigentlich nur angedacht, um noch eine Abschiedssendung zu machen. Sie ging von Ostsibirien über China nach Wladiwostok herüber, dann nach Japan, von dort mit einem russischen Transporter nach Sachalin, in Sibirien an der Küste entlang bis zur Beringstraße und schließlich nach Alaska. Das war natürlich sehr reizvoll, weil ich das immer schon gewollt hatte. Da ich die Sowjetunion sehr gut kannte, waren die Gegensätze in diesen Ländern außerordentlich spannend.

Sind Sie bei Ihren Reisen schon einmal in ernsthafte Schwierigkeiten gekommen?

Man mußte sich immer durchkämpfen, das ist klar. Nach dem Ende der Sowjetunion war es dort kein Problem mehr. In China hingegen war es nicht einfach, das muß man ehrlich sagen, weil sie dort sehr mißtrauisch waren. Aber eigentlich sind wir ganz gut durchgekommen. Wir hatten natürlich einen Begleiter, einen netten älteren Professor, der sehr angenehm war und auch keine Angst hatte. Als wir in eine Stadt hereinkamen, sah ich schon, daß sich dort eine Menge Arbeitslose versammelt hatten. Und unser Begleiter merkte natürlich auch, daß ich das registrierte und filmen wollte. Daher meinte er: “Wissen Sie, heute nachmittag haben Sie ja gar nichts mehr auf dem Programm, da brauche ich Sie nicht zu begleiten...“ Und so kommt man durch.

Wichtig ist, daß man nicht versuchen sollte, die Leute zu betrügen und Sachen hinter ihrem Rücken zu machen. Es geht darum eine Geschichte erzählen. Wenn sie ganz sensationell ist, dann macht man sie natürlich. Aber normalerweise versucht man doch die Situation zu finden, die man braucht und das sind für mich meist keine sensationellen Geschichten.

Es geht für mich in der Hauptsache darum, etwas über die Menschen zu erfahren, deren Situation, und darüber dann auch über die Chancen, daß sich alles wieder stabilisiert. Doch auch das versuche ich aus dem Kontakt mit den Menschen, nicht mit Politikern oder dem Militär. Wenn man mit denen Interviews machen will, wird man in ein System eingeordnet, überwacht und benötigt Genehmigungen.

Selbstverständlich hatten wir auch in Afghanistan unsere Begleiter. Es waren rund ein halbes Dutzend verschiedene Dolmetscher. Das hat den Vorteil, daß man mit jedem von ihnen einen anderen Blickwinkel bekommt, eine andere Perspektive. Einige von ihnen waren in der DDR ausgebildet, ein Fotograf war darunter sowie ein Professor für internationales Recht. Er ist mit uns in die Stammesgebiete im Süden heruntergefahren, weil dort seine eigene Familie lebte. Dadurch ist man auch geschützt, weil man Menschen hatte, zu denen man gehörte. Er war quasi unser Gastgeber und so hatte man auch jemanden, der wußte, was los war.

Wie treten Ihnen die Menschen bei Ihren Reportagen gegenüber? Gab es dabei irgendwo ein besonderes Erlebnis?

Es sind viele kleine Erlebnisse, viel überraschendes. Ein Zentralerlebnis wüßte ich nicht. In Afghanistan war es bspw. ein General, der mir sein Bett überließ, weil ich doch ein würdiger älterer Mann sei. Er hatte neben seinem Bett interessante Bücher, eins zum Thema „Modelle zeitgenössischer Demokratie“, ein amerikanisches Buch ins Persische übersetzt, und direkt daneben den Koran in verschiedenen Ausführungen.

Mit diesem General hatte ich vorher ein interessantes Gespräch. Wir haben uns angeregt unterhalten, ohne daß ich wußte, wer er ist. Dabei sprachen wir über Afghanistan und darüber, welche Verfassung es braucht. Er war ein sehr interessanter Mann. Irgendwie hatte ich mir afghanische Generäle anders vorgestellt.

Ein anderes Erlebnis hatte ich in Kabul, am letzten Abend, der ersten Nacht seit 23 Jahren ohne Ausgangssperre. Dort fand in der kleinen Pension, in der wir wohnten, plötzlich ein Hauskonzert statt. Ein zwölfjähriger Junge trug Ghaselen (persische Gesänge) vor. Da saßen wir dann alle zusammen, ein ehemaliger Sicherheitschef, ein Verwandter des Königs, ein Bauunternehmer aus Deutschland, der nach Afghanistan zurückkehrt war, Wachleute... Und alle diskutierten über diesen Jungen, darüber daß er einmal groß herauskommen würde.

Als Journalist und Auslandskorrespondent sind Sie in viele Länder der Erde gekommen. Wo fühlen Sie sich persönlich zu Hause?

In Deutschland, allerdings an keinem bestimmten Ort. Wenn man soviel im Ausland arbeitet, fühlt man sich viel stärker als Deutscher. Zur Zeit lebe ich mit meiner Frau in München, weil sie von dort stammt. Zusätzlich unterhalten wir eine Wohnung in Moskau.

Warum gerade Moskau? Weil Sie dort lange gearbeitet haben?

Ich war insgesamt 14 Jahre in Moskau tätig. Dort habe ich noch viele Freunde aus früheren Zeiten. Damals war es sehr schwer für uns dort zu arbeiten. Aber auch für die Leute dort war es schwierig Kontakte zu Ausländern zu unterhalten. So wachsen aus dem Druckkessel des KGB doch ziemlich feste Freundschaften. Denn es war riskant für sie diese Kontakte zu unterhalten, sie wurden dann vom KGB besucht und verhört.

Wie läßt sich Ihre doch sehr reiseintensive Tätigkeit überhaupt mit der Familie/Ihrem Privatleben vereinbaren?

Meine Frau fährt meistens mit. Sie erledigt viel organisatorisches, betreibt Recherchen, im Vorfeld, aber auch direkt vor Ort. Doch in Afghanistan hat sie sich ausschließlich in Kabul und direkter Umgebung aufgehalten.

Dort hat sie mir viele Kontakte eröffnet. Das war auch schon bei früheren Reisen so. Denn meine Frau schreibt viel mit, während ich Interviews führe. Außerdem spricht sie selbst mit den Menschen. Schließlich ist meine Frau Irmgard Eichner-Ruge (56) ebenfalls Journalistin von Beruf. So erfährt man auch viele Dinge aus anderen Perspektiven.

Auf den Dörfern hingegen ist es sehr schwierig und auch anstrengend für eine europäische Frau. Wenn man mit ihr dorthin kommt, überfällt alle das Zittern. Sie fragen sich: Wo kann sie übernachten? Was machen wir mit ihr? Das kompliziert die Sache.

Sie werden dieses Jahr 75 Jahre alt und sind beruflich immer noch sehr aktiv. Gibt es etwas besonderes, das Sie antreibt?

Es ist die Neugierde auf und das Interesse für Menschen und Situationen. Es ist interessant zu sehen wie sich alles entwickelt, bspw. jetzt in Afghanistan, im Gegensatz zu dem, wie ich es von früher kannte.

Welche weiteren Ziele streben Sie an?

Im Moment keine. Aber meine Frau sagt immer, das sagst du jedes Jahr...

Einmal in bezug auf Ihre gesamte journalistische Laufbahn gesehen. Gibt es persönliche Grundsätze, die Sie immer verfolgt haben?

Das wichtigste ist, immer so genau wie möglich zu berichten, so nah am Ereignis und an den Menschen zu sein, wie es nur geht. Ich gehe nicht mit einer Theorie hin, die ich illustrieren will. Statt dessen mache ich den Film, den Bericht oder das Buch aus der Geschichte, die für sich selbst sprechen soll.

Haben oder hatten Sie Vorbilder?

Direkte Vorbilder nicht. Ich war sicher beeinflußt von Peter von Zahn, aber wir alle machen ganz unterschiedliche Filme. Beispielsweise war ich in den gleichen Gegenden wie Klaus Bednarz, doch wir haben eine andere Herangehensweise an die Thematik, genau so wie Peter Scholl-Latour. Jeder macht es so, wie es seinem Stil entspricht.

Welche Art von Literatur bevorzugen Sie?

Das kann ich so nicht sagen. Ich bin aufgeschlossen für alles. Das geht von Gedichten über Romane bis zu Sachbüchern. Dazu interessiere ich mich für Bücher, die sich mit Dingen und Gegenden beschäftigen, in die ich fahre. Das Buch „Der Buchhändler von Kabul“ ist gerade herausgekommen. Es ist eine sehr schöne Lebensgeschichte, die mir gut gefallen hat. Dazu liebe ich Gedichte von Rilke, Brecht und Elliott.

Welche Musik mögen Sie?

Hier bevorzuge ich Musik aus dem Barock und Vorbarock, eher als die aus dem 19. Jahrhundert. Aber auch das kann ich so nicht eingrenzen. Darüber hinaus gibt es wunderschöne Stücke aus der Popmusik und der Rockzeit, dir mir sehr gut gefallen. Außerdem bin ich ein großer Fan von Missy Elliott.
Womit kann man Sie ärgern?

Besonders ärgern nicht direkt, ich versuche mich nicht zu ärgern. Vielleicht wenn Leute unkonzentriert arbeiten, nicht aufpassen.

Womit kann man Ihnen eine Freude machen?

Das gibt es so viel. Es gibt viele Gelegenheiten, wo etwas passiert, worüber ich mich freuen kann.

Ihr Wunsch für die Zukunft?

Schauen wie es weitergeht, sich überraschen, die Dinge auf sich zukommen lassen. Ich hab keinen direkten Lebensplan mehr.

Besten Dank für dieses Interview!

erschienen im Lesestoff Leipzig, Ausgabe 06/2003

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